Siemens-Chef Kaeser: „Öffentlichkeit nicht den Populisten überlassen“

Beim jährlichen Sommertreff des Club Wirtschaftspresse hat Siemens-Chef Joe Kaeser klar Position gegen die AfD und andere Populisten bezogen. Er fühlt sich dabei aber von anderen Unternehmenslenkern alleingelassen.

Siemens-Chef Joe Kaeser (links) spricht beim Sommerempfang. Bild: S. Gusbeth

Wer an diesem lauen Sommerabend eine seichte Rede erwartet hatte, der hatte sich getäuscht: Siemens-Chef Joe Kaeser kam mit einer deutlichen Botschaft zum Sommertreff des Club Wirtschaftspresse München am vergangenen Montag. Wie politisch darf eine Unternehmenslenker sein? Welche Rolle spielen die klassischen und sozialen Medien? Kaeser hat in den vergangnen Monaten reichlich Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt. Als er in einem Tweet klar Position gegen die Aussagen der AfD-Politikerin Alice Weidel bezogen hatte, erlebte der Siemens-Chef einen veritablen Shitstorm. „Es wurde zum Teil richtig derb, richtig aggressiv, gewalttätig sowieso“, sagte Kaeser. Und das nicht nur gegen ihn selbst. „Es ging auf die Kinder, meine Mutter.“ Die Hetzer und Aggressoren im Netz wüssten ganz genau, dass er selbst mit Personenschutz unterwegs sei. Auch an diesem Abend wachte ein Bodyguard über die Sicherheit des Konzernchefs.

„Die Militanz der Drohungen hat einen beachtlichen Eindruck hinterlassen“, gab Kaeser zu. Aber er bereue seine Aussage nicht. „Ich hatte den Eindruck, dass man das nicht stehen lassen kann“, sagte er. „Wir dürfen das Feld der Öffentlichkeit nicht den Populisten überlassen.“ Es dürfe keine Schweigespirale entstehen. Er zog einen direkten Vergleich zur Zeit der Weimarer Republik und den Anfängen des Dritten Reichs. Auch damals sei zu viel geschwiegen worden. Der Bruder seiner Mutter sei im KZ Dachau ermordet worden. „Vielleicht muss man doch wieder den Anfängen wehren“, sagte er.

Kaeser gab zu verstehen, dass er sich mit seinen politischen Äußerungen derzeit von anderen Konzernchefs alleingelassen fühlt. „Wer sich heute öffentlich äußert, geht ein gewaltiges Risiko ein“, sagte er. Der Siemens-Chef erzählte, dass er durchaus versucht habe, eine Allianz mit anderen Unternehmenschefs in Deutschland zu schmieden und eine gemeinsame Aktion zu starten. Das sei jedoch nicht gelungen.  Der Chef eines Autokonzerns etwa habe mit Blick auf die Wahlergebnisse der AfD zu bedenken gegeben, dass dann „womöglich 19 Prozent meine Autos nicht mehr kaufen“. Auch aus der Sportschuhbranche sei eine Absage gekommen. Kaeser äußerte aber auch Verständnis für seine Kollegen, die immer daran denken müssten, ihre Produkte noch an Endkunden verkaufen zu können. „Das Problem habe ich mit Gasturbinen nicht.“

Siemens-Chef Kaeser beim Sommerempfang des Club Wirtschaftspresse. Bild: P. Vetter

Kaeser sieht in der Digitalisierung und dem technologischen Wandel die Gefahr weiterer Radikalisierung, wenn man die Gesellschaft nicht darauf vorbereite. Im Fokus stehe dabei in Deutschland die Autoindustrie und ihre Zulieferer. „Der Erfolg von Deutschland hängt an dieser einen Industrie“, sagte Kaeser. Und der bevorstehende Wandel sei gewaltig. Wenn alle Verbrennungsmotoren durch elektrische ersetzt würden, gingen gut 60 bis 75 Prozent aller Arbeitsplätze in den Motorenwerken verloren. „Das ist gut für saubere Luft, aber die Luft wird garantiert um ein Vielfaches dicker“, prophezeite er. Wenn man nicht rechtzeitig gegensteuere, werde es „weiter Autos auf der Straße geben, aber keine selbstfahrenden, sondern brennende“, warnte der Siemens-Chef.

Für Kaeser ist zumindest ein erster Schritt zu einer Lösung der Migrationsdebatte klar: „Ohne ein Einwanderungsgesetz werden wir die Kontrolle nicht wiedererlangen“, sagte er. „Jetzt ist es ja von der SPD gekommen, das hätte auch von anderen Parteien kommen können, statt einem Sturm im Wasserglas zu machen, der das Gelächter der Welt auf sich zieht.“ Er spielte damit auf den Streit innerhalb der Unionsparteien CDU und CSU an, der von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer vom Zaun gebrochen worden war.

Zu den etwa 100 Zuhörern gehörten an diesem Abend neben den Mitgliedern des Clubs Wirtschaftspresse München auch zahlreiche Kommunikatoren von bayerischen Unternehmen und Organisationen, die traditionell beim jährlichen Sommertreff zu Gast sind.

Philipp Vetter

Presseschau:

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/nach-drohungen-ein-tweet-von-siemens-chef-kaeser-gegen-die-afd-brachte-ihm-heftige-kritik-und-3000-neue-follower/22784020.html

https://www.welt.de/wirtschaft/article179112692/Joe-Kaeser-Siemens-Chef-sieht-sich-im-Kampf-gegen-die-AfD-alleingelassen.html

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/konzerne-so-twittern-die-chefs-1.4048154

https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-07-10/siemens-ceo-warns-of-burning-fallout-if-german-carmakers-fail

https://www.automobilwoche.de/article/20180710/BCONLINE/180719989/wehrhaft-gegen-politische-hetzer-der-siemens-chef-zeigt-klare-kante