Telekom-Vorständin Nemat: Rettung von Europas Wertesystem

Telekom-Vorständin Claudia Nemat (re.) beim Jahresempfang des Clubs. Bild: Sabine Gusbeth

Kämpferisch gibt sich Vorstandsfrau Claudia Nemat auf dem Jahresempfang des Clubs Wirtschaftspresse München. Die Physikerin aus Köln, Vorstand für Innovation und Technologie bei der Deutschen Telekom, will mehr, als einen Konzern auf Rendite trimmen. Sie sieht die Telekom in einer besonderen Verantwortung.

„Wenn wir nicht möchten, dass unsere Kinder in einer Datenkolonie der Technologiegroßmächte USA und China leben werden, müssen wir schnell ein Gegenmodell entwickeln“, betont Nemat. Akteure der Wirtschaft, politische Gestalter, Medien oder Bürger dieses Landes seien aufgerufen zum Handeln. „Sonst werden wir reduziert auf die Rolle des Konsumenten und Datenlieferanten für digitale Dienstleistungen, welche außerhalb Europas produziert werden“, sagt die 50-Jährige.

Sie stellt fest: Bei Elektronikbauteilen kommt faktisch niemand mehr an China vorbei, bei künstlicher Intelligenz (KI) und Chip-Produktion nicht an den USA. Die tonangebenden Unternehmen kämen kaum noch aus Europa. Nemat beklagt den mangelnden Fokus auf den Aufbau lokaler Rechenkapazitäten. Auch die Schaffung einer europäischen Cloud durch Microsoft und Telekom sei an europäischer Komplexität und Bürokratie gescheitert.

Aber weder das autoritäre Leitbild Chinas noch das liberale der USA, das dem dortigen Plattformkapitalismus zugrunde liege, passe zu unserem freiheitlich liberalen Menschenbild. Die Wirkungsweise von Algorithmen basiere aber auf dem Weltbild ihrer Programmierer – heute eben meist Männer aus den USA und China. Das könne problematisch sein.
Gerade die Deutschen verhielten sich dennoch völlig schizophren: „Einerseits neigen wir dazu, neue Technologie zu verteufeln oder eher die Risiken als die Chancen zu sehen. Andererseits verhalten wir uns völlig sorglos hinsichtlich des Umgangs mit unseren Daten und der Nutzung digitaler Angebote“.

Die Schlussfolgerung für Nemat ist nicht Kapitulation, sondern Gestaltungswillen und Leidenschaft. Agilität, Ausprobieren und Machen, lebenslanges Lernen – das sind ihre Rezepte für den Kulturwandel der Telekom und für Produkte, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. So lege die Telekom zum Beispiel Wert darauf, dass Kundensprachdaten von sprachgesteuerten Diensten nur auf europäischen Servern gespeichert würden. Wenn zur Sprachverbesserung und Fehleranalyse echte Menschen mithörten – kein Sprachalgorithmus komme ohne dieses Prinzip aus -, so werde das dem Kunden gegenüber transparent gehandhabt, inklusive Widerspruchsmöglichkeit.

„Wir dürfen keiner von Lagerdenken geleiteten Technik-Diskussion das Wort erteilen. Aber wir müssen die Diskussion um Industriespionage und kulturelle Dominanz bei KI ernst nehmen“, fasst Nemat zusammen und hat da auch Wünsche an die Politik. Diese müsse sich fragen, wie entsteht mehr „Wums“, mehr Leidenschaft für Technologie, für lebenslanges Lernen in allen Bevölkerungsschichten? Wie kann ich Genehmigungszeiten verkürzen, Bürokratie abbauen, Steuererleichterungen schaffen, Start-ups besser finanziell stützen, vorwettbewerbliche Zusammenarbeit ermöglichen und europäische Champions schaffen helfen. Der neuen EU-Kommission gibt Nemat vor allem „Chuzpe“ mit auf dem Weg: „Es gilt durchzusetzen, dass alle, die in Europa Geschäfte machen, nach unseren Regeln spielen.“

Cornelia Knust